Eine Kapitelspredigt

Jeden ersten Freitag im Monat halten die Mönche einen Exerzitientag ab. Nach der Non spricht Pater Prior üblicherweise einige erbauliche Worte. Wir meinen, die Kapitelspredigt vom 4. Juli könnte auch den Familien all unserer Freunde und Wohltäter von Nutzen sein.

Meine lieben Brüder, an diesem Tag der Einkehr, dem ersten Freitag im Monat, möchte ich die Last der sengenden Hitze nicht noch durch schwere Worte erschweren, sondern uns im Gegenteil gegenseitig ermutigen, dieser Prüfung wie allem Schmerz einen übernatürlichen Sinn zu geben. Dazu müssen wir auf das Kreuz Jesu blicken, der sein Leiden und seinen Tod zu einem Lobpreis der Anbetung an seinen Vater und zu einem Mittel machte, Gerechtigkeit für alle Sünden der Welt zu schaffen. Jesus ist das vollkommene Vorbild, dem wir in allem folgen sollten, besonders in den Schmerzen dieses Lebens. Unsere arme Natur, die unser Herr in allem außer der Sünde annehmen wollte, ruft mit ihm: „Vater, wenn es möglich ist, nimm von mir diese endlose Hitzewelle und diese anderen Strapazen und Leiden an Leib und Seele.“ Ja, Jesus litt unter der noch größeren Hitze Palästinas, die wir heute mehr oder weniger auch haben, aber neugierigerweise habe ich im Internet gelesen, daß die Temperatur in Jerusalem am 4. September 2020 40 °C betrug. Kurz gesagt, laßt uns die Opfer, die die Vorsehung für uns bereithält, für den Herrn leben. Das Geheimnis, sie gut zu leben, liegt in der Liebe, die das Heiligste Herz Jesu uns entgegenbringt. Bewundernswert und unvorstellbar ist, daß der Soldat auf Golgatha nicht nur den Tod Jesu bemerkte, sondern – oh Sakrileg! – ihm mit seiner Lanze die rechte Seite bis ins Herz durchbohrte. Aus dieser sakrilegischen Tat, die den Tod sicherte, flossen, falls noch Zweifel bestanden, Wasser und Blut, Symbol einer unendlichen Liebe, die durch den Haß der Menschen hervorgerufen wurde. Jesus nutzt deren schwerste Sünde, um die Wellen seiner Barmherzigkeit über sie auszugießen. Das ist die Torheit Gottes. Eine Torheit, die uns die Kirche im Kollektengebet zum Fest des Heiligen Herzens, zu dem wir heute Morgen die Messe gefeiert haben, immer wieder vor Augen führt: „O Gott, in das Herz deines Sohnes, das durch unsere Sünden verwundet wurde, hast du in deiner Barmherzigkeit unendliche Schätze der Nächstenliebe gelegt.“

Diese extreme Nächstenliebe, die sich im Leiden und Sterben Jesu manifestierte, präsentiert sich uns unter einer besonderen Note: der Sanftmut, die ihren höchsten Ausdruck darstellt.

Was ist nun Sanftmut? 

Sanftmut ist eine Tugend, die im weitesten Sinne eine moralische Eigenschaft bezeichnet, die sich in Freundlichkeit, Güte, Geduld und dem Verzicht auf Härte in Verhalten und Worten äußert. Sie impliziert die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen ruhig und ohne Aggression zu handeln. Sanftmut wird oft mit Demut, Mitgefühl und der Fähigkeit zu verstehen und zu vergeben in Verbindung gebracht. Sanftmut bedeutet nicht Schwäche, sondern Selbstbeherrschung, die Beherrschung der eigenen Leidenschaften. Sie ist das Gegenteil von aller Rauheit, Härte, Bissigkeit, Bitterkeit, Brutalität und Aggressivität. Ihr Bild ist die Taube oder besser noch das unschuldige Lamm, das in Jesus eine so göttliche Stufe erreicht, daß dadurch die Sünde der Welt gesühnt wird. 

„Lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Jesus zeigt uns damit, daß es keine Sanftmut ohne Demut gibt und daß der Weg zur Sanftmut Demut ist. Ruhm ist nur den Sanftmütigen und Demütigen vorbehalten, wie der heilige Johannes in der Offenbarung des Johannes bekräftigt. „Nur das Lamm, das geschlachtet wurde, ist würdig, Lob, Ehre, Ruhm und Macht zu empfangen für immer und ewig.“ 

Ich erinnere euch an unseren Vorsatz für dieses Jahr: die brüderliche Nächstenliebe. Laßt uns daher die Gnade, die der Herr uns durch seinen Stellvertreter geschenkt hat, neu entfachen. Mögen all unsere schriftlichen und mündlichen Beziehungen, ob im Chor, am Altar, in der Sakristei, im Refektorium, beim Abwasch, bei der Arbeit, von der Sanftmut und Demut Jesu durchdrungen sein. Auch hier haben wir ein weiteres Vorbild in der Jungfrau Maria: O Clemens, o Pia! O Dulcis, Virgo Maria, bitte für uns jetzt und alle Tage unseres Lebens, damit wir, sanftmütig geworden, durch dich die verheißene Seligkeit erlangen: den Besitz dieser neuen Erde, die der Himmel ist.