AUFRUF ZUM KONTEMPLATIVEN LEBEN

Predigt des ehrwürdigen Paters Prior über das kontemplative Leben

 

Liebe Gläubige!

Ich danke den Priestern von ganzem Herzen, die mich eingeladen haben, heute Morgen zu Ihnen über das kontemplative Leben zu sprechen, das nicht ausschließlich dem Mönch vorbehalten ist, sondern zu dem jeder Christ berufen ist, der in der Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus tiefer in das Geheimnis der Erkenntnis und der Liebe Gottes eindringen möchte.

Zuvor möchte ich Ihnen jedoch unsere Gemeinschaft der Benediktiner der Immakulata vorstellen. Sie wurde in Italien von Bischof Mario Oliveri in der Diözese Albenga-Imperia am 2. Juli 2008, dem Fest Mariä Heimsuchung, gegründet.

Die Anfänge begannen bescheiden und arm im Pfarrhaus von Villatalla, einem kleinen Bergdorf, das vor einem Panorama von großer Schönheit liegt und dessen Horizont, der von der blauen Küstenlinie des Mittelmeers gezeichnet wird, in die Unendlichkeit zu entschwinden scheint. Villatalla liegt in der Region, die der Guide Michelin als “Bezauberndes Ligurien” bezeichnet. Elf Jahre später verlegte sich unsere Gemeinschaft ganz in die Nähe der französischen Grenze, nach Taggia, in ein Kapuzinerkloster aus dem 17. Jahrhundert mit seiner Kirche, dem Kreuzgang, dem gewölbten Refektorium und den 14 Zellen. Wie Sie sich vorstellen können, ist dieses vierhundert Jahre alte Kloster hier und da sehr renovierungsbedürftig.

In der Folge unserer Gemeinschaft entstand 2019 ein weiblicher Zweig von Benediktinerinnen der Immakulata, die sich in Villatalla niederließen, dort, wo wir selbst die Gründung begonnen hatten.
Unser Leben ist ein kontemplatives Leben nach der Regel des heiligen Benedikt, der Jungfrau Maria geweiht, im Geheimnis ihres unbefleckten Herzens, „denn es ist der vollendete Typus der beiden Charaktere des monastischen Werkes, das unser Herr von unseren Stiftern verlangt: inneres Leben und Aufopferung“.

In der Krise, die die Heilige Kirche seit mehreren Jahrzehnten durchlebt, „wollen wir, wie in unseren Konstitutionen festgelegt, das doppelte Bollwerk der Heiligen Regel und der Heiligen Liturgie als die besten Garanten des reinsten katholischen Glaubens und der höchsten Heiligkeit unerschütterlich aufrechterhalten“.

Wir werden Ihnen am Ausgang der Messe ein Faltblatt aushändigen, das Sie über unsere beiden Gemeinschaften informiert und darüber, wie Sie uns finanziell unterstützen können, wenn Sie können. Dafür danken wir Ihnen schon jetzt von ganzem Herzen.

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Zu Beginn der Fastenzeit lädt uns die Kirche zur Buße und zum Gebet ein. Aber heute Morgen komme ich nicht zu Ihnen, um mit Ihnen über die Buße zu sprechen, die doch so notwendig für unsere Heiligung und Erlösung ist, wie unser Herr den Pharisäern erklärte: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle zugrunde gehen“.

Die Kontemplation. Was ist Kontemplation, also die Betrachtung?

Der Heilige Irenäus sagte: „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebendige Mensch, und das Leben des Menschen ist die Betrachtung Gottes“. Gott zu betrachten bedeutet also, wirklich zu leben, aus dem Leben Gottes selbst zu leben. Gott zu betrachten bedeutet, ihm die Ehre zu geben, Gott zu betrachten bedeutet also Ewigkeit, die hier auf Erden begonnene Ewigkeit, in der die Seele mit der ewigen Gegenwart Gottes verbunden ist.

Denn Gott hat alles erschaffen, für sich, zu seiner Ehre, und die Schöpfung findet ihr Ziel nur in ihm allein.

Bereits das Alte Testament zeigt uns Moses als einen großen Kontemplativen. Das Buch Exodus berichtet, daß er auf den Berg stieg und die Herrlichkeit Jahwes auf dem Berg Sinai blieb, den eine Wolke sechs Tage lang bedeckte. Am siebten Tag rief Gott Moses aus der Wolke, und die Herrlichkeit Jahwes war wie ein verzehrendes Feuer. Da ging Moses in die Wolke hinein. Er stieg auf den Berg, wo er 40 Tage und 40 Nächte blieb: 40 Tage und 40 Nächte, in denen er die Herrlichkeit Jahwes betrachtete! Seine Herrlichkeit war ein verzehrendes Feuer aus Licht und Liebe.

Gott ließ sich jedoch nur durch die Wolke betrachten, die das Symbol des Glaubens ist.Wir können also bereits sagen, daß die Kontemplation ein Blick des Glaubens auf Gott ist, der gegenwärtig, aber unsichtbar ist.

Schauen wir noch einmal in das Evangelium: Es zeigt uns in der Erzählung von der Verklärung, wie sehr der Akt der Kontemplation das Leben Gottes selbst ist. Gott betrachtet sich selbst, indem er seinen eigenen Sohn betrachtet: „Hic est Filius meus dilectus in quo mihi COMPLACUI“, „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“. Und umgekehrt betrachtet Gott sich selbst, indem er den Vater betrachtet: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der Sohn kann nichts von sich aus tun, es sei denn, er sieht den Vater es tun. Was der Vater tut, das tut auch der Sohn, denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles“. Der Sohn kann also nichts von sich aus tun, nichts, ohne auf den Vater zu schauen. Es gibt nichts, was der Sohn erreichen kann, ohne den Blick auf den Vater gerichtet zu halten. Sehen Sie, wie der Sohn den Vater liebt, wie der Vater den Sohn liebt!Auch das ist Kontemplation: ein liebender Blick auf den geliebten Menschen. Aber in Gott, dem Vater, und in seinem göttlichen Sohn hat dieser wohlgefällige Blick kein Ende: Ich und mein Vater handeln unaufhörlich. Keine menschliche Betrachtung kann diesen erhabenen Grad der göttlichen Betrachtung erreichen. Aber das hindert unseren Herrn Jesus Christus nicht daran, uns in seiner Nachfolge aufzurufen, seine kindliche Kontemplation zu teilen, hier auf Erden im Licht des Glaubens und im Himmel in einer ewigen Schau von Angesicht zu Angesicht.

Ein Bauer aus Ars, der jeden Tag vor und nach seiner Arbeit eine lange Zeit vor dem Allerheiligsten verbrachte, wurde von seinem heiligen Pfarrer gefragt: „Mein Freund, was können Sie dem lieben Gott denn sagen?“„Nichts“, antwortete der Bauer, „ich schaue ihn an, und er schaut mich an“. In einer Einfachheit des Blicks besteht auch die Kontemplation. Die Seele sammelt und vereint ihre Fähigkeiten, um sie aufzurichten und auf Gott auszurichten: Die reine Aufmerksamkeit ist Kontemplation. Sie ist die höchste Handlung, die der Mensch schon hier auf Erden vollbringen kann. Die Seele ist dann nicht mehr in sich selbst, sondern ganz in Gott eingetaucht. Ein Kartäuser sagt, Kontemplation sei „der Akt einer Seele, die sich selbst vergißt, unbeweglich, vor etwas, das schöner ist als sie selbst“. Sie erfordert jedoch oft äußeres, immer aber inneres Schweigen und eine gewisse Einsamkeit. „Ich will dich in die Wüste führen, um zu deinem Herzen zu sprechen“, sagt Gott zum Propheten Hosea.

Deshalb konnte der Pfarrer von Ars, ein unermüdlicher Apostel, aber auch einer der größten Kontemplativen unserer Zeit, über sie sagen, daß sie „ein Vorgeschmack des Himmels, ein Ausfluß des Paradieses“ ist. Wir können also zusammenfassend sagen, daß die Kontemplation ein einfacher Blick des Wohlgefallens ist, durch den die Seele, selbstvergessen, sich vom Anblick der unaussprechlichen Schönheit und Heiligkeit Gottes entzücken läßt.

Liebe Brüder, wenn es für unsere armen Menschen auch unmöglich ist, ständig in der Kontemplation zu leben, denn, wie ein chinesisches Sprichwort sagt, kann der Mensch nicht immer auf Zehenspitzen leben, so muß er doch oft versuchen, seinen Blick auf Gott zu richten. Alle Sorgen der Welt sollten uns nicht davon abhalten, auf diese väterliche Gegenwart Gottes zu achten, die uns ständig umgibt und uns zu sich zieht. Dom Placide de Roton, ein Benediktinerabt, sagte: „Es gibt verschiedene Bereiche in der Seele. Man kann bei Gott sein, indem man ganz andere Dinge tut, sogar in einer Angelegenheit, in einem Gespräch. Lassen wir den äußeren Bereich unserer Seele mit dem Nächsten verhandeln und bleiben wir gleichzeitig im inneren Bereich, wo Gott ist; dann ist es Gott, der spricht, Gott, der die Angelegenheit behandelt, Gott, der alles tut.“

Sehen wir uns nun die Früchte an, die die Kontemplation mit sich bringt

Auf uns bezogen:
– Die erste dieser Früchte ist Gott selbst: Gott, der sich als Wahrheit schenkt, Gott, der sich als Liebe schenkt, Gott, der sich als Fülle schenkt.

– Die zweite Frucht ist die Abneigung gegen die Sünde, gegen jede Sünde. Wenn man einmal die Gnade Gottes gekostet hat, spürt man nicht nur die Leere der irdischen Güter, sondern auch einen gewissen Ekel vor der Sünde, die dem Fleisch jedoch so sehr gefällt.

– Die dritte Frucht ist, daß das Gewicht der fleischlichen Begierde in uns abnimmt. Und das ist nicht wenig! Denn die Seele ist mehr dort, wo sie liebt, im Gegenstand ihrer Liebe, der der betrachtete Gott ist, als in ihrem Körper, wo sie von der fleischlichen Begierde gefordert wird. Die Versuchungen beherrschen die Seele nicht mehr, denn sie kommen ja von dort, wo die Seele abwesend ist, da sie ganz in Gott ist. Die Kontemplation ist daher ein sehr wirksames Mittel gegen die Konkupiszenz. Je mehr wir in der Gegenwart Gottes leben, desto mehr werden wir die wahre Freiheit schmecken.

– Die vierte Frucht schließlich ist die Wirksamkeit der natürlichen und übernatürlichen Handlungen, die aus ihr hervorgehen. Die Kontemplation beseitigt nicht nur die Hindernisse, die dem Handeln im Wege stehen, wie Stolz, Machtstreben, Eitelkeit usw., sondern vor allem ordnet sie das gesamte menschliche Handeln auf sein höchstes Ziel hin, Gott, der das Maß aller Dinge ist, und verleiht ihm dadurch eine große Wirksamkeit und Fähigkeit. Heilige erreichen oft große Dinge. Sagte die heilige Teresa von Avila nicht: „Aus der Kontemplation erwächst das Handeln“?

Auf den Nächsten bezogen:
– Die Dienerin Gottes, Elisabeth Lesueur, sagte, daß „jeder, der sich erhebt, die Welt erhebt“: Wenn ein heiliger Erzbischof, Apostolischer Delegat für das französischsprachige Afrika, eine Mission gründete, setzte er dort zuallererst eine Gemeinschaft kontemplativen Lebens ein, die durch ihre Anwesenheit wie der Sauerteig eines neuen Christentums war.

– In diesem Sinne sagte Dom Gérard, daß „die Klöster stille Finger sind, die dem Himmel entgegengestreckt sind, die hartnäckige, unnachgiebige Erinnerung daran, daß es eine andere Welt gibt als die gegenwärtige, die nur ein Abbild dieser Welt ist, sie aber ankündigt und vorwegnimmt“.

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Und nun wende ich mich direkt an Sie, an die jungen Männer und Frauen:
Ja, junge Männer und Frauen, die ihr mir zuhört, ich möchte, daß Gott durch meine Stimme zu eurem Herzen spricht. Ich stelle euch die Frage: Was wollen Sie mit Ihrer Zukunft im Hinblick auf die Ewigkeit tun? Hören Sie die Stimme Gottes, die in der Tiefe Ihrer Seele spricht? Und welche Antwort werden Sie ihr geben?

Der reiche Jüngling aus dem Evangelium, die Apostel und so viele Heilige im Laufe des Lebens der Kirche, Hunderttausende von Mönchen und Nonnen haben diese Einladung gehört, unserem Herrn näher zu folgen. Leider wandte sich der reiche Jüngling ab, weil er mehr an seinem Besitz als an Gott hing, und seine Seele wurde daraufhin von Traurigkeit übermannt, während die Apostel, so heißt es im Evangelium, sofort alles hinter sich ließen. Jesus sagte zu ihnen: „Kommt und folget mir nach“. Sogleich ließen sie ihre Netze, ihr Boot und ihren Vater zurück und folgten ihm nach. Einige sind zum Apostolat berufen, aber andere, wie die heilige Magdalena, haben den besseren Teil gewählt, „denn“, so Dom Gérard, „Gott verdient es unendlich, daß Geschöpfe sich ganz und gar, für immer und ausschließlich, ihm hingeben, ihn anschauen, ihn loben, ihn anbeten. Das ist es, fügte er hinzu, das ist es, was uns geboten ist…“.

Hören Sie nun die Worte des heiligen Benedikt im Prolog seiner Regel: „der Herr sucht in der Volksmenge, der er dies zuruft, einen Arbeiter für sich und sagt wieder: „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?“ Wenn du das hörst und antwortest: „Ich“, dann sagt Gott zu dir: „Willst du wahres und unvergängliches Leben? … Wenn ihr das tut, blicken meine Augen auf euch, und meine Ohren hören auf eure Gebete; und noch bevor ihr zu mir ruft, sage ich euch: „Seht, ich bin da.“ Liebe Brüder, was kann beglückender für uns sein als dieses Wort des Herrn, der uns einlädt? Seht, in seiner Güte zeigt uns der Herr den Weg des Lebens“.

Lassen Sie mich abschließend einen Gedanken von André Charlier zitieren, dem Gründer der Schule Les Roches im Périgord, dessen Schüler und Jünger der ehrwürdige Vater Gérard Calvet war. Er sagte zu denjenigen, die er „Hauptleute“ nannte, d.h. zu den Leitern einer Gruppe von Schülern, folgende hochaktuellen Worte: „Es ist ein gewaltiger spiritueller Kampf, der stattfindet, und für diesen Kampf müßt ihr gewappnet sein. Kanonen, Panzer und Atombomben sind nur von geringer Bedeutung. Wichtig ist, was in der Seele vor sich geht. Sie sind in sich selbst auf vielerlei Weise gefordert. Haben Sie den Willen, immer auf den höchsten Ruf zu antworten“.

Meine lieben Brüder, möge die Gnade dieser Heiligen Fastenzeit, in die wir eingetreten sind, in uns kontemplative Seelen schmieden, die uns nicht nur zu „Anbetern Gottes“, sondern auch zu „Rettern von Seelen“ machen werden. Und die Unbefleckte Jungfrau Maria, Vorbild des kontemplativen Lebens und Mutter der Heiligen Hoffnung, möge uns in ihrer Nachfolge dazu bringen, inmitten der Wechselfälle dieser Welt den Blick dorthin zu richten, wo die wahren Freuden des Himmels liegen.

Amen!